von Isabel Wiest

Mit­glied des Lan­des­vor­stands, ehem. Abge­ord­nete der BV Harburg, Juristin

In Hamburg und der Metro­pol­re­gion werden immer mehr Infra­struk­tur­pro­jekte, die mit­un­ter stark in Natur­schutz­be­lange, in Moor­gür­tel oder Feucht­bio­tope ein­grei­fen, u.a. mit dem „über­wie­gen­den öffent­li­chen Inter­esse“ begrün­det. Dabei klingt es fast so, als wolle man Natur­schutz­in­ter­es­sen gegen andere öffent­li­che Inter­es­sen stellen, anstatt sie selbst als wich­ti­gen Teil des öffent­li­ches Inter­esse zu werten.

Was also mit diesem Rechts­be­griff in Zeiten des Kli­ma­wan­dels über­haupt gemeint ist, und warum er gerade in Natur­schutz­be­lan­gen nicht unhin­ter­fragt zum unbe­stimm­ten pla­ne­ri­schen Tot­schlag­ar­gu­ment werden darf, das wollen wir heute am Bei­spiel des geplan­ten Aldi-Lagers in Stelle diskutieren.

Die Zustim­mung des Land­krei­ses Harburg zum Bau des groß­flä­chi­gen Logis­tik­la­gers in Stelle bedroht das geschützte Feucht­bio­top Pen­ne­kuhle. Die dortige Natur­schutz­be­hörde begrün­dete ihren posi­ti­ven Bescheid mit der Not­wen­dig­keit des Aldi-Lagers wegen des über­wie­gen­den öffent­li­chen Inter­es­ses.

Der Regio­nal­ver­band des BUND hat dagegen jetzt Beschwerde bei der unteren Natur­schutz­be­hörde in Winsen ein­ge­legt und gleich­zei­tig eine Dienst­auf­sichts­be­schwerde gegen den Landrat ein­ge­reicht. Der BUND sieht hier, neben vielen anderen Kri­tik­punk­ten an dem Vor­ha­ben, eine falsche Begrün­dung vor­ge­scho­ben und unter­mau­ert seine Auf­fas­sung wie folgt:

Seit 2015 seien die Gewer­be­steu­er­zah­lun­gen des bereits in Ohlen­dorf ansäs­si­gen Unter­neh­mens in der Gemeinde See­ve­tal von 1,65 Mil­lio­nen in 2015, auf 600.000 in 2017 und auf Null seit seit dem Jahr 2018 gesunken.

Auch signi­fi­kant neue Arbeits­plätze seinen wohl nicht zu erwar­ten, da es sich wahr­schein­lich nur um eine Ver­la­ge­rung des Stand­orts handele.

Kurz: Ein über­wie­gen­des öffent­li­ches Inter­esse sieht der BUND hier nicht gegeben.

Grund genug für eine kurzen recht­li­chen Exkurs:

Recht des Natur­schut­zes und der Land­schafts­pla­nung findet sich auch in § 19 BNatschG, der Ein­griffs­re­ge­lung, impli­zit das „öffent­li­che Interesse“.

Danach müssen Ein­griffe in Natur und Land­schaft zunächst ver­mie­den oder aus­ge­gli­chen werden. Wenn das nicht gelingt, dürfen sie nur zuge­las­sen werden, wenn „die Belange des Natur­schut­zes und der Land­schafts­pflege bei der Abwä­gung aller Anfor­de­run­gen an Natur und Land­schaft anderen Belan­gen im Range vor­ge­hen.“ Die genann­ten „anderen Belange“ sind nicht nur, aber auch und vor allem öffent­li­che Inter­es­sen, denen regel­mä­ßig ein höheres Gewicht ein­ge­räumt wird als „nur“ pri­va­ten Interessen.

Schließ­lich findet man das „öffent­li­che Inter­esse“ an zen­tra­ler Stelle im Schutz­re­gime der FFH-Richt­li­nie und folg­lich auch in den ent­spre­chen­den Vor­schrif­ten des BNatSchG also in Art. 6 FFH-RL bzw. § 34 BNatSchG. Die Vor­schrif­ten besagen, dass Pro­jekte oder Vor­ha­ben mit beein­träch­ti­gen­den Wir­kun­gen in oder auf ein euro­päi­sches Schutz­ge­biet Natura 2000 nur dann geneh­migt werden dürfen, wenn erstens Alter­na­tiv­lö­sun­gen nicht vor­han­den sind und zwei­tens soweit es aus „zwin­gen­den Gründen des über­wie­gen­den öffent­li­chen Inter­es­ses, ein­schließ­lich solcher sozia­ler oder wirt­schaft­li­cher Art“ erfor­der­lich ist.

Man kann nun aber eine regel­rechte Infla­tion dieser „öffent­li­chen Inter­es­sen“ kon­sta­tie­ren, die es erfor­der­lich macht, zu klären, was am Ende für den Natur­schutz übrig bleibt, oder genauer: Wie das öffent­li­che Inter­esse in § 34 NatSchG zu ver­ste­hen ist. Und diese Frage stellt sich in Zeiten des Kli­ma­wan­dels umso drin­gen­der, weil das öffent­li­che Inter­esse in dieser Vor­schrift ein unbe­stimm­ter Rechts­be­griff ist aber gleich­zei­tig Element einer voll kon­trol­lier­ba­ren Rechts­gü­ter­ab­wä­gung sein muss und nicht nur Hohl­flos­kel einer pla­ne­ri­schen Abwägung.

Selbst­ver­ständ­lich muss dabei auch immer die Frage mit­be­dacht werden, wie und von wem das öffent­li­che Inter­esse for­mu­liert und kon­trol­liert wird. Hat man bei­spiels­weise die Aus­ein­an­der­set­zun­gen um das Müh­len­ber­ger Loch vor Augen, wurde ein aus­schließ­lich privat genutz­ter Flug­ha­fen einer pri­va­ten Firma unter Beru­fung auf zwin­gende Gründe des über­wie­gen­den öffent­li­chen Inter­es­ses genehmigt.

Die Dis­kus­sion um das geplante Logis­tik­la­ger, das den gesam­ten Land­kreis auch in Sachen Verkehr und Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten in Atem hält, bleibt also spannend.

 

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