Entsetzen über 5. verstorbenen Obdachlosen in Hamburg in diesem Winter

 

von Isabel Wiest, MdLaVo HH

 

Seit vielen Jahren setzen sich „Die Sozi­al­li­be­ra­len“ aktiv für die Ver­bes­se­rung Woh­nungs- und Obdach­lo­ser in Hamburg ein. Umso erschre­cken­der ist es für uns, dass auch in diesem Winter wieder bereits fünf Obdach­lose in Hamburg den Tod finden mussten.

Obdach­lo­sig­keit ist gerade in Metro­pol­re­gio­nen ein unge­lös­tes Problem. Die Corona-Pan­de­mie ver­schärft diese Situa­tion, denn durch Ver­dienst­aus­fälle geraten immer mehr Men­schen in finan­zi­elle Bedräng­nis und sind vom Verlust ihrer Wohnung bedroht oder bereits betroffen.

Allein der poli­ti­sche Wille fehlt, die im rot-grünen Koali­ti­ons­ver­trag fest­ge­schrie­be­nen Housing First Bestre­bun­gen auch tat­säch­lich umzu­set­zen. Wir müssen in dieser Stadt mehr zu tun als obdach­lose Men­schen nur irgend­wie am Leben zu halten. Es ist nicht hin­nehm­bar, dass gerade eine der bedürf­tigs­ten Gruppen der Stadt­ge­sell­schaft einer Politik von Gän­ge­lung, Bevor­mun­dung und Ver­wei­ge­rung unter­wor­fen wird, die auch den Anfor­de­run­gen einer Pan­de­mie nicht genügt. Das Win­ter­not­pro­gramm hat seine Schwä­chen. Es ist mehr als ver­ständ­lich, dass die Men­schen derzeit die Unter­brin­gung in Mehr­bett­zim­mern, die sie zudem tags­über wieder ver­las­sen müssen, meiden um sich nicht anzu­ste­cken. Die Unter­brin­gung in solchen Sam­mel­un­ter­künf­ten ist derzeit einfach nicht zumut­bar. Hamburg hat mehr als 2000 Obdach­lose, denen nicht aus­rei­chend gehol­fen wird. Das ist einer reichen Wirt­schafts­me­tro­pole unwür­dig. Derzeit stehen unzäh­lige Hotel­zim­mer in dieser Stadt leer. Wir können es Men­schen ermög­li­chen, wür­de­voll und sicher über den Winter zu kommen, wenn wir Zimmer für Obdach­lose frei­ge­ben, die sie auch tags­über nutzen können.

Es ist Aufgabe der Politik, die jah­re­lang mit schönen Worten kon­ser­vierte Situa­tion obdach­lo­ser Men­schen endlich zu beenden und ihnen ein Leben in Würde zu ermög­li­chen. Das Recht auf Wohnen sehen wir als ein Men­schen­recht an. Die Stadt steht in der Pflicht es umzu­set­zen und seine Ver­ant­wort­lich­kei­ten nicht mehr an private oder kirch­li­che Initia­ti­ven zu delegieren.

Zu unseren sozi­al­li­be­ra­len pro­gram­ma­ti­schen Punkten betref­fend die Obdach­lo­sen­po­li­tik in Hamburg

 

 

Zur Ver­tie­fung:

Im rot-grünen Koali­ti­ons­ver­trag steht Folgendes:

Wohnungs- und Obdachlosigkeit überwinden

Zu den ver­letz­lichs­ten Gruppen in der Ham­bur­ger Stadt­ge­sell­schaft gehören Woh­nungs­lose und ins­be­son­dere auf der Straße lebende Obdach­lose. Zentral sind hierbei für uns die Prä­ven­tion von Woh­nungs­ver­lust und die Wohnraumvermittlung.

Zur Ver­mei­dung von Woh­nungs­lo­sig­keit werden die Fach­stel­len für Woh­nungs­not­fälle per­so­nell ver­stärkt. Sie sollen sich auch stärker um von Obdach­lo­sig­keit gefähr­dete, vor allem junge Frauen und Männer, in schwie­ri­gen Wohn­kon­stel­la­tio­nen kümmern (u. a. soge­nannte Couch­schlä­fer) um noch früher unter­stüt­zen zu können.

Auch zukünf­tig sollen spe­zi­elle Ange­bote, z. B. für Frauen, psy­chisch kranke Men­schen oder Men­schen, die nach einer erfolg­rei­chen Lang­zeit­the­ra­pie keinen eigenen Wohn­raum gefun­den haben und ein sucht­mit­tel­freies Umfeld benö­ti­gen, vor­ge­hal­ten werden. Bei Fördern und Wohnen wird ein Beschwer­de­ma­nage­ment ein­ge­führt, das bei Bedarf ver­trau­li­che Bera­tung ermög­licht. Woh­nungs­lose Men­schen in der öffent­lich-recht­li­chen Unter­brin­gung werden durch die Aus­wei­tung von beson­de­ren Betreu­ungs­an­ge­bo­ten bei der Anmie­tung von eigenem Wohn­raum gezielt unter­stützt. Um ehemals obdach- oder woh­nungs­lose Men­schen mit Pfle­ge­be­darf gut betreuen zu können, schaf­fen wir zusätz­li­che Plätze in einer beson­de­ren Pflegeunterkunft.

Um noch mehr Men­schen gezielt beim stu­fen­wei­sen Über­gang in eigenen Wohn­raum beglei­ten zu können, werden wir Unter­stüt­zungs­an­ge­bote wie Wohnen Plus aus­bauen. Die Koali­ti­ons­part­ner sind sich darüber einig, dass es hierfür zwin­gend erfor­der­lich ist, den Woh­nungs­bau für beson­dere Ziel­grup­pen (WA-gebun­den) weiter zu for­cie­ren. Wir werden deshalb im Rahmen der in der Bür­ger­schaft schon beschlos­se­nen Ver­dop­pe­lung der Hilfen für Woh­nungs­lose der sog. Stufe 3 ergän­zend zu den bestehen­den Hilfen ein Housing-First Modell­pro­jekt für woh­nungs­lose Haus­halte auflegen.

Nach mehr als 100 Jahren ihres Bestehens werden wir für die Unter­kunfts- und Unter­stüt­zungs­ein­rich­tung PIK As einen Neubau errich­ten. Dort werden auf einer Fläche von mehr als 1.700 m² bar­rie­re­frei bis zu 330 Betten, Räume für medi­zi­ni­sche Anwen­dun­gen, eine ehren­amt­li­che Küche und eine Schwer­punkt­pra­xis mit sieben Kran­ken­zim­mern ent­ste­hen. In Koope­ra­tion mit dem LEB (Lan­des­be­trieb Erzie­hung und Bera­tung) wird es dann auch einen eigen­stän­di­gen Betrieb für die Not­über­nach­tung für jun­ger­wach­sene Obdach­lose geben. Für die Zeit bis zur Fer­tig­stel­lung des Neubaus werden wir ein Angebot für die Ziel­gruppe bereit­stel­len und die damit gemach­ten Erfah­run­gen in die Kon­zep­tion für das spätere Angebot im PikAs ein­flie­ßen lassen.

Die Ange­bote, die Gesund­heits­hil­fen- und Stra­ßen­so­zi­al­ar­beit ver­bin­den und Men­schen indi­vi­du­ell anspre­chen, werden ver­stärkt. Zusätz­lich wird zunächst eine weitere Tages­auf­ent­halts­stätte in Altona geschaffen.

Beson­dere Unter­stüt­zung benö­ti­gen Obdach­lose mit tem­po­rä­rem Pfle­ge­be­darf, wie er oft nach Kran­ken­haus­auf­ent­hal­ten vor­kommt. Die Koali­ti­ons­part­ner stimmen überein, dass Obdach­lose aus dem Kran­ken­haus nicht direkt in ein Leben auf der Straße ent­las­sen werden dürfen. Daher werden wir die Plätze der Kran­ken­stube für Obdach­lose aus­wei­ten. In der Ver­gan­gen­heit hat das Win­ter­not­pro­gramm dafür gesorgt, dass viele obdach­lose Men­schen in Hamburg im Winter nicht nur eine Unter­kunft gefun­den haben, sondern auch eine dau­er­hafte Per­spek­tive für eine Zukunft jen­seits der Straße gemein­sam mit den Sozialarbeiter*innen ent­wi­ckeln konnten. Wei­ter­hin soll bei Aus­wei­tung des Bera­tungs­an­ge­bots eine aus­rei­chende Anzahl an Über­nach­tungs­plät­zen im Winter für alle Men­schen in Hamburg, unab­hän­gig von ihrem Rechts­sta­tus bereit­ge­stellt werden.

Die Koali­ti­ons­part­ner wollen die Inte­gra­tion in den Arbeits­markt und die Prä­ven­tion von Woh­nungs­lo­sig­keit von EU-Zuwander*innen stärken und daher eine Pension für arbeits­su­chende Zuge­wan­derte aus der EU in Koope­ra­tion mit den Sozialpartner*innen und Wohl­fahrts­ver­bän­den auf den Weg bringen. Ein trag­fä­hi­ges Konzept hierfür wird mit den Betei­lig­ten gemein­sam entwickelt.

Woh­nungs- und obdach­lose Men­schen mit psy­chi­schen Erkran­kun­gen und viel­fach ohne Bereit­schaft externe Hilfe anzu­neh­men sind in regu­lä­ren Wohn­un­ter­künf­ten schwer adäquat zu ver­sor­gen und häufig bereits „auf der Straße“ schwer zu errei­chen. Für Men­schen, die unter psy­chi­schen Erkran­kun­gen leiden und obdach­los sind, werden daher zusätz­li­che beson­dere Sprech­stun­den­an­ge­bote in den Tages­auf­ent­halts­stät­ten vor­ge­se­hen. Darüber hinaus wird eine öffent­lich-recht­li­che Unter­kunft spe­zi­ell auf die Bedürf­nisse ehemals Obdach­lo­ser mit psy­chi­schen Erkran­kun­gen ausgerichtet.